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Stets in der Meisterdiskussion mit dabei: der FC Lugano und dessen Trainer Mattia Croci-Torti. Vor einer Woche noch eine der wenigen europäischen Mannschaften, die realistische Chancen auf das Double, mit ein bisschen Fantasie gar auf das Triple, gehabt hatte, läuft sie nun Gefahr, diese Saison mit leeren Händen zu beenden.
An den eigenen Ambitionen scheitern
Als einzige Schweizer Mannschaft belastet den FC Lugano weiterhin die Teilnahme an drei Wettbewerben: die heimische Liga, der Cup und die UEFA Conference League. Das hat einen vollen Spielkalender zur Folge, bei dem die Spieler an ihre Grenzen kommen. Bisher überstand der FC Lugano die wiederholt intensiven Phasen scheinbar exzellent – wobei sich die Frage stellt, ob eine Abwägung der Relevanz der Wettbewerbe nicht sinnvoller gewesen wäre, um beispielsweise den Fokus auf die Meisterschaft zu setzen. Denn wenn eine Mannschaft alles zu gewinnen versucht, scheitert sie schlussendlich an ihren eigenen Ambitionen. Das ständige Rotieren, dass durch die Intensität erzwungen wird unterzieht die betroffenen Vereine einem knallharten Test — den der FC Lugano zurzeit nicht besteht.
Sie profitieren von der schwächelnden Konkurrenz
Leader in der Super League, Viertelfinale im Schweizer Cup und direkter Einzug in das Achtelfinale der Conference League – eine Ausbeute, von der andere Schweizer Mannschaften nur träumen können. Allerdings trügt der Schein. Mit 1,6 Punkten, die der FC Lugano pro Super-League-Spieltag im Durchschnitt einfährt, schneidet er im europäischen Vergleich miserabel ab. Ein Blick nach England, Italien, Deutschland und Spanien sowie in die Niederlande, Türkei, Portugal und Österreich zeigt: Eine Mannschaft mit einem solchen Punkteschnitt spielt meist um die Plätze vier und fünf, wenn nicht sogar tiefer. Zudem sind Mannschaften in solchen Ligen meilenweit vom Leader entfernt. Lugano trennen hingegen nur drei Punkte zu den aktuell Erstplatzierten Basel und Servette. Somit lautet das Fazit: Der FC Lugano ist nur deshalb im Meisterrennen, weil die Spitze der Super League besonders schlecht abschneidet . Eigentlich sind die Leistungen der Tessiner nicht würdig, um ein Titelanwärter zu sein.
Der Kader muss breiter werden
Allerdings, was bringt auch ein Zwischenfazit wie jenes von letzter Woche – Co-Leader, Cup-Viertelfinale und Conference-League-Achtelfinale –, wenn die Kaderbreite den Erfolg nicht über einen längeren Zeitraum zulässt? Um in drei Wettbewerben gleichzeitig konkurrenzfähig zu sein, reicht es nicht, elf Spieler zu haben, von denen der Erfolg abhängig ist. Auch 15 Spieler reichen nicht. Der FC Lugano hätte auf dem Transfermarkt aktiv werden müssen, um trotz hoher Belastung den Gegnern, zumindest in den heimischen Wettbewerben, einen Schritt voraus zu sein.
Die Rede ist hierbei nicht von Füllspielern, sondern von solchen, die Spiele entscheiden und die Tessiner qualitativ vom FC Luzern abheben und sie auf Augenhöhe mit Basel und Servette bringen. Denn wenn eben solche Qualitätsspieler fehlen (passiert durch erzwungenes Rotieren bei hoher Intensität), kommt es vor, dass Rotationsspieler scheinbar „einfachere“ Partien aus der Hand geben, da ihnen die Praxis in diesen Konstellationen fehlt. Wer in drei Wettbewerben mitspielt, ist darauf angewiesen, zwei Top-Elfs zu haben. Sonst kommt es vor, dass man Spiele verliert wie das gegen den FC Biel-Bienne.
Diese Chance müssen sie ausnutzen
Seit 1949 wartet man im Tessin auf einen Meistertitel. Und nun, in der Saison 2024/25, in der der aktuelle Leader Basel magere 1,7 Punkte pro Spiel verzeichnet und im europäischen Vergleich den schlechtesten Leader ausmacht, wäre es doch genau die Chance für den FC Lugano, diese Inkonstanz der anderen auszunutzen. Der FCB und die Young Boys dominierten über Jahre die Schweizer Liga als Serienmeister – verdient, muss man erwähnen. Allerdings sollte genau deshalb der FC Lugano diese chaotische Saison ausnutzen. Ansonsten werden sie zum ewigen Verfolger. Dann kann Croci-Torti so lange bleiben, wie er möchte, ohne dass er einen Meistertitel einfährt.

Nicht nur die Young Boys werden in den kommenden Jahren stärker. Auch eine Mannschaft wie Servette wird in Zukunft Lugano fordern – höchstwahrscheinlich noch mehr als diese Saison, in der die Genfer ebenfalls unter ihren Erwartungen spielen.
Und Basel? Die „Beppis“ befinden sich in den letzten Jahren in einem historischen Tief, das sie in wenigen Jahren wieder verlassen werden. Wenn Lugano diese Saison nicht zuschlägt – wann dann? Es wird vermutlich eine Dekade dauern, bis sie wieder eine solch vielversprechende Möglichkeit auf eine Meisterschaft haben.
Alle durchleben eine Findungsphase – ausser Lugano – Dort kennt man sich inzwischen bestens
Zudem sind viele Mannschaften, die sich im Meisterrennen messen, in Umbauphasen. Entweder ist ein neuer Trainer im Haus, eine neue Führung an der Spitze oder sogar eine neue Vereinsphilosophie integriert. Der FC Basel, FC St. Gallen, FC Zürich und der BSC YB sind eben diese Mannschaften, die erst einmal Fuss fassen müssen in ihren Findungsphasen. Hingegen ist der FCL die Mannschaft, die sich mitten in ihrem Projekt ,respektive gar am Ende des Projekts, befindet.
Croci-Torti ist seit dreieinhalb Jahren im Amt. Er hat seinen Kader, den er über Jahre hinweg aufbauen konnte, und sein Spielsystem, das seine Spieler mittlerweile intus haben. Er befindet sich auf dem Maximum, während andere gerade erst begonnen haben.
Alles andere als ein Titel wäre bei der Verfassung, in der sich die Konkurrenz befindet, nicht akzeptabel. Und noch besteht die Chance, im letzten Vierteljahr die Meisterschaft zu gewinnen. Doch nun muss Konstanz folgen. Lugano hat mit dem gebürtigen Tessiner einen fantastischen Coach an der Seitenlinie. Dieser muss allerdings seine Mannschaft aus der momentanen Negativspirale befreien und sie aufgrund der Bedingungen zu mindestens einem Titel führen.
Ein Verein der seit mehr als 75 Jahren auf einen Titel wartet, darf solch einen Moment nicht verpassen.